Protest ist ein essenzieller Bestandteil einer lebendigen Demokratie. Doch wo endet die Meinungsfreiheit und wo beginnt das Strafrecht? Diese Frage beschäftigt aktuell Juristen und die Öffentlichkeit gleichermaßen, nachdem das Amtsgericht Husum knapp zwei Jahre nach der Blockade einer Fähre mit dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck an Bord erste juristische Konsequenzen gezogen hat.

In diesem Beitrag beleuchten wir die aktuellen Strafbefehle gegen die Beteiligten, erklären das juristische Instrument des Strafbefehlsverfahrens und analysieren den Straftatbestand der Nötigung im Kontext von Demonstrationen.

Der aktuelle Fall: Was ist passiert?

Anfang 2024 hinderten mehrere hundert Landwirte eine Fähre am Anleger Schlüttsiel (Schleswig-Holstein) am Anlegen. An Bord befand sich Robert Habeck. Die Situation eskalierte derart, dass die Fähre ablegen musste und der Minister das Festland nicht betreten konnte. Nun hat das Amtsgericht Husum auf Antrag der Staatsanwaltschaft Flensburg gegen fünf Männer und eine Frau Strafbefehle erlassen.

Die Vorwürfe wiegen schwer: Es geht um gemeinschaftliche Nötigung, in einem Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruch. Die verhängten Sanktionen reichen von Geldstrafen bis hin zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Exkurs: Was ist eigentlich ein Strafbefehl?

Für Laien mag es überraschend klingen, dass ein Urteil gefällt wird, ohne dass es zuvor eine große Gerichtsverhandlung gab. Das Strafbefehlsverfahren (§§ 407 ff. StPO) ist jedoch ein bewährtes Instrument der deutschen Justiz, um leichte bis mittelschwere Kriminalität effizient zu bewältigen.

  • Funktionsweise: Die Staatsanwaltschaft beantragt den Erlass eines Strafbefehls, wenn sie den Sachverhalt für geklärt hält und eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich erachtet. Der Richter prüft den Antrag und erlässt den Befehl, wenn er den Beschuldigten ebenfalls für hinreichend verdächtig hält.
  • Der Vorteil: Es entlastet die Gerichte und erspart dem Beschuldigten eine öffentliche Hauptverhandlung.
  • Das Rechtsmittel: Der Beschuldigte ist dem nicht schutzlos ausgeliefert. Er kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch einlegen. Tut er dies, kommt es zwingend zu einer Hauptverhandlung, in der der Fall neu aufgerollt wird. Legt er keinen Einspruch ein, steht der Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleich.

Im aktuellen Fall haben die Beschuldigten also nun die Wahl: Die Strafe akzeptieren oder vor Gericht ziehen.

Der Vorwurf der Nötigung (§ 240 StGB)

Juristisch besonders interessant ist hier der Vorwurf der Nötigung. Nach § 240 StGB macht sich strafbar, wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt.

Bei Blockadeaktionen – sei es durch Landwirte mit Traktoren oder Klimaaktivisten auf der Straße – ist der Begriff der Gewalt entscheidend. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs hat hier feine Linien gezogen:

  1. Physische Barriere: Werden Traktoren so platziert, dass ein physisches Hindernis entsteht, welches nicht überwunden werden kann, ohne sich oder das Fahrzeug zu gefährden, liegt oft Gewalt im Sinne des Strafrechts vor.
  2. Psychischer Zwang: Bloße Anwesenheit reicht oft nicht, aber wenn durch die Masse und das aggressive Auftreten eine Zwangslage für die Betroffenen (hier die Fährbesatzung und Passagiere) entsteht, ist die Schwelle zur Strafbarkeit schnell überschritten.

Im Fall Schlüttsiel sah die Staatsanwaltschaft durch das aktive Hindern am Anlegen und das Bedrängen der Fähre diese Grenze offenbar als überschritten an.

Strafmaß und Bewährung

Die verhängten Strafen geben einen Einblick in die Bewertung der Schwere der Tat:

  • Geldstrafen: Für die meisten Beteiligten wurden Geldstrafen zwischen 25 und 40 Tagessätzen beantragt. Ein Tagessatz entspricht dabei in der Regel dem Nettoeinkommen des Täters geteilt durch 30. Damit gelten diese Personen formell noch nicht als vorbestraft im Sinne eines Eintrags im Führungszeugnis (dies geschieht erst ab 90 Tagessätzen).
  • Freiheitsstrafe: Gegen einen 37-Jährigen wurde jedoch eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten verhängt (ausgesetzt zur Bewährung). Hier kamen erschwerend der Vorwurf des Landfriedensbruchs (§ 125 StGB) und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) hinzu. Dies zeigt: Wer Polizeiketten durchbricht oder aktiv körperlichen Widerstand leistet, muss mit deutlich härteren Konsequenzen rechnen als „nur“ Mitläufer einer Blockade.

Fazit für Betroffene und Demonstranten

Der Fall zeigt deutlich, dass der Rechtsstaat auch bei politisch motivierten Aktionen Grenzen zieht. Das Versammlungsrecht (Art. 8 GG) ist ein hohes Gut, es rechtfertigt aber keine Straftaten. Wer an Protestaktionen teilnimmt, die in Blockaden münden, setzt sich dem Risiko eines Strafverfahrens aus.

Für die Beschuldigten im aktuellen Fall gilt bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung (also bis zum Ablauf der Einspruchsfrist oder einem Urteil nach Einspruch) weiterhin die Unschuldsvermutung. Es bleibt abzuwarten, ob einer der Beteiligten den Weg in die öffentliche Hauptverhandlung wählt, um die Vorwürfe dort klären zu lassen. Mit Anwalt GURU setzen Sie auf eine zukunftsweisende Plattform – für die bestmögliche Rechtsberatung und Anwaltssuche.

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