Die Bilder gingen Anfang 2024 durch die Medien: Eine aufgebrachte Menge hinderte eine Fähre, auf der sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck befand, am Anlegen in Schlüttsiel. Was damals als hitzige politische Auseinandersetzung begann, hat nun ein juristisches Nachspiel. Das Amtsgericht Husum hat Strafbefehle gegen mehrere Beteiligte erlassen. Doch was bedeutet das eigentlich konkret? Wann wird aus einem Protest eine Straftat, und wie funktioniert das Strafbefehlsverfahren?
Als Anwalt möchte ich diesen aktuellen Fall zum Anlass nehmen, die rechtlichen Hintergründe von Blockadeaktionen und das Instrument des Strafbefehls genauer zu beleuchten.
Der aktuelle Fall: Nötigung und Landfriedensbruch?
Laut aktuellen Berichten hat das Amtsgericht Husum auf Antrag der Staatsanwaltschaft Flensburg Strafbefehle gegen fünf Männer und eine Frau erlassen. Der Hauptvorwurf lautet gemeinschaftliche Nötigung. In einem besonders schweren Fall, bei dem ein 37-Jähriger beteiligt gewesen sein soll, stehen zudem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruch im Raum.
Die verhängten Sanktionen reichen von Geldstrafen (zwischen 25 und 40 Tagessätzen) bis hin zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Exkurs: Der Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB)
Im Zentrum solcher Verfahren steht oft der § 240 des Strafgesetzbuches (StGB). Eine Nötigung begeht, wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt.
Bei Blockaden – sei es durch Landwirte oder Klimaaktivisten – ist der Begriff der Gewalt entscheidend. Die Rechtsprechung (insbesondere das Bundesverfassungsgericht) hat hier feine Linien gezogen:
- Physische Barriere: Werden Fahrzeuge so blockiert, dass ein Weiterkommen physisch unmöglich ist (und nicht nur psychisch durch die Anwesenheit von Menschen), kann Gewalt vorliegen.
- Die Verwerflichkeit: Nicht jede Behinderung ist strafbar. Rechtswidrig ist die Tat nur, wenn die Anwendung der Gewalt zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Hier müssen Gerichte abwägen: Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) gegen die Bewegungsfreiheit der Betroffenen. Bei der totalen Blockade einer Fähre, die das Anlegen unmöglich macht, tendieren Gerichte – wie hier geschehen – oft dazu, die Grenze zur Strafbarkeit als überschritten anzusehen.
Das Strafbefehlsverfahren: Urteil per Post
Viele Laien wundern sich, dass es in diesem Fall (bisher) keine große öffentliche Gerichtsverhandlung gab. Das liegt am sogenannten Strafbefehlsverfahren (§§ 407 ff. StPO).
Dies ist ein vereinfachtes Verfahren zur Bewältigung der leichten bis mittleren Kriminalität. Es funktioniert wie folgt:
- Antrag der Staatsanwaltschaft: Wenn der Sachverhalt klar scheint, beantragt die Staatsanwaltschaft keinen Prozess, sondern einen schriftlichen Strafbefehl.
- Erlass durch das Gericht: Der Richter prüft die Akten. Hält er den Beschuldigten für hinreichend verdächtig, erlässt er den Strafbefehl.
- Rechtskraft oder Einspruch: Der Beschuldigte erhält den Strafbefehl per Post. Er hat nun zwei Wochen Zeit, Einspruch einzulegen.
- Kein Einspruch: Der Strafbefehl wird rechtskräftig und steht einem Urteil gleich. Die Strafe muss gezahlt bzw. angetreten werden.
- Einspruch: Legt der Beschuldigte Einspruch ein, kommt es zur öffentlichen Hauptverhandlung vor Gericht. Hier wird der Fall dann “ganz normal” verhandelt, mit Zeugen und Beweisaufnahme.
Vorteil für Beschuldigte: Ein Strafbefehl ist diskret. Es gibt keine öffentliche Bloßstellung im Gerichtssaal, sofern man ihn akzeptiert.
Was bedeuten Tagessätze und Bewährung?
Im aktuellen Fall wurden Geldstrafen in Tagessätzen verhängt. Ein Tagessatz entspricht in etwa dem Nettoeinkommen des Täters pro Tag. 40 Tagessätze entsprechen also knapp eineinhalb Monatsgehältern. Dies sorgt für soziale Gerechtigkeit: Wer viel verdient, zahlt absolut mehr, wird aber relativ gleich hart getroffen wie jemand mit geringem Einkommen.
Bei dem Hauptbeschuldigten wurde eine Freiheitsstrafe von 7 Monaten auf Bewährung verhängt. Das bedeutet:
- Er muss nicht ins Gefängnis, solange er sich in der Bewährungszeit (meist 2-3 Jahre) straffrei führt.
- Oft ist dies an Auflagen geknüpft. Im vorliegenden Fall muss der Mann 500 Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlen.
Fazit für die Praxis
Der Fall zeigt deutlich: Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, aber kein Freibrief für Zwangseinwirkungen auf Dritte. Wer Protestformen wählt, die andere massiv einschränken (wie das Blockieren von Fähren oder Autobahnen), riskiert strafrechtliche Konsequenzen.
Für Empfänger eines Strafbefehls gilt immer: Fristen beachten! Die zweiwöchige Einspruchsfrist ist strikt. Wer einen solchen Brief erhält, sollte umgehend anwaltlichen Rat einholen, um zu prüfen, ob ein Einspruch sinnvoll ist oder ob die Akzeptanz des Strafbefehls (und damit die Vermeidung einer teureren Hauptverhandlung) die bessere Strategie darstellt.
Hinweis: Dieser Beitrag dient der allgemeinen Information und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Mit Anwalt GURU setzen Sie auf eine zukunftsweisende Plattform – für die bestmögliche Rechtsberatung und Anwaltssuche.